Kunst an der Grenze - Enthüllung des ersten Kunstwerkes

Am 09. November 2012, dem Jahrestag der Grenzöffnung, wurde das erste Werk zwischen dem hessischen Meinhard-Braunrod und Kella in Thüringen der Öffentlichkeit übergeben.

 

Im Folgenden finden Sie die Reden von Frau Dr. Karin Adam, Ars Natura-Stiftung und von Herrn Lothar Quanz, Ideengeber und Initiator des Projekts „Kunst an der Grenze“.

Rede Herr Lothar Quanz

 

Moko - Kunst an der ehemaligen innerdeutschen Grenze

 

Nach drei Jahren Vorlaufzeit kann endlich eine Idee von mir Wirklichkeit werden:

Zum 20-jährigen Jahrestag der Grenzöffnung im November 2009 fasste ich den Entschluss, dass wir ein Projekt „Kunst an der ehemaligen innerdeutschen Grenze“ auf den Weg bringen sollten.

 

Ich wünschte mir, dass die besonderen „Grenzerfahrungen“ die die Menschen in meiner Heimat auf beiden Seiten der ehemaligen Grenze gemacht haben, die Deutsche von Deutschen, die Hessen von Thüringern trennte, nicht in Vergessenheit geraten dürfen.

Weder die leidvollen Erfahrungen durch die Trennung und die Unmenschlichkeit von Stacheldraht und Mauer, noch auf der anderen Seite die unvergessliche Freude am Tage der Grenzöffnung und der späteren Wiedervereinigung.

 

 

Mit der Enthüllung eines ersten Kunstwerks wird dieses Projekt endlich gestartet. Dieses wird in Meinhard-Braunrod am 9. November der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Insgesamt sind sieben Kunstwerke unmittelbar an der Grenze zwischen Hessen und Thüringen bis 2014 vorgesehen, allerdings immer auf hessischem Gebiet. Der Versuch grenzüberschreitend sowohl in Hessen als auch in Thüringen in Form eines gemeinsamen Projektes diesen Beitrag zu einer Erinnerungskultur zu leisten, scheiterte an schwierigen Rahmenbedingungen und unterschiedlichen Zuständigkeiten der jeweiligen Länder. Mir ging es aber darum, dann zumindest auf einer Seite der Landesgrenzen, nämlich hier in meiner Heimat auf hessischem Gebiet, durch Kunstobjekte die besonderen „Grenzerfahrungen“ der letzten Jahrzehnte für alle Menschen festzuhalten.   

 

Ich danke ganz besonders der Sparkasse Werra-Meißner als Hauptsponsor des Projekts, dem Verein für Regionalentwicklung als Träger und der Ars Natura Stiftung als ausführende Agentur und für die künstlerische Leitung, zugleich dem Land Hessen, dass es möglich war, aus dem europäischen LEADER-Programm entsprechende finanzielle Zuwendungen zu erhalten.

 

Kurzbeschreibung des Projekts und der damit verbundenen Ziele:
 

Wir wollen

  • eine Erinnerungskultur schaffen
  • Erinnerungen sowohl an die ehemalige Teilung als auch an die Überwindung der Grenze 1989 bewahren
  • den touristischen Wert der ehemaligen Grenzregion durch Kunst steigern
  • die besondere regionale Identität bei den Menschen in unserer Heimat stärken.

 

Bei den Kunstobjekten handelt es sich um hochwertige Werke von namhaften europäischen Künstlern.

Die Installation erfolgt an markanten Stellen, die die Grenzerfahrung in besonderer Weise symbolisieren, die die Teilung und die Wiedervereinigung dauerhaft erfahren lassen.

Der Abschluss des Projekts soll zum 25-jährigen Jubiläum der Grenzöffnung in 2014 sein.

Rede Frau Dr. Adam

 

FERNE sucht NÄHE

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

           

Die Buchstaben aus Stahl, die mit einer Laser-Stanztechnik aus Stahlbahnen geschnitten wurden, lassen Text, unmittelbare Umgebung und ferne Landschaft zu einer Einheit verschmelzen.

 

Eine Einheit, die uns Deutsche heute immer noch tief berührt, haben vor  23 Jahren ausdauernde und mutige DDR-Bürgerinnen und Bürger in einer friedlichen Revolution initiiert. Die Montagsdemonstrationen und die Grenzöffnung am 09. November 1989 waren Gipfel einer kontinuierlichen Oppositionsbewegung, die sich letztlich bereits nach der Londoner Außenministerkonferenz, die den Bruch zwischen den Kriegsverbündeten endgültig herbeiführte und die SBZ fortan von den westlichen Zonen isolierte, gebildet hatte. Welche Ursachen es auch immer für das plötzlich schnelle Ende der DDR 1989/90 gegeben haben mag – ein Grund war das nie ausgelöschte Bewusstsein aller Deutschen, dass die SBZ, dann die DDR, Phänomene auf Zeit seien.

Aus verschiedensten Oppositionsgruppen hatte sich 1989 eine Massenbewegung ergeben. Ab dem 04. September 1989 demonstrierten DDR-Bürger zunächst in Leipzig, dann in anderen großen Städten. Ziel war eine friedliche, demokratische Neuordnung mit Bewegungs- und Reisefreiheit. Am 04. September 1989 demonstrierten allein in Leipzig etwa 1200 Menschen. Am 06. November waren es 500.000. Und der Ruf „Wir sind das Volk“ schlug um in die Vision „Wir sind ein Volk“.

Die Gründe, die zum relativen Stillhalten der Sicherheitskräfte führten, sind bis heute nicht endgültig geklärt.

Am Abend des 09. November 1989 hält Günter Schabowski, Mitglied des Politbüros der SED, in Ostberlin eine Pressekonferenz vor Journalisten aus aller Welt, die vom Fernsehen der DDR live übertragen wird. Auf Nachfrage eines Journalisten holt Günter Schabowski einen Zettel aus seiner Tasche heraus, den er vor der Pressekonferenz von Egon Krenz, dem Nachfolger Erich Honeckers, bekommen hat und liest stockend vor:
"Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen -  Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse - beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt.“ 
Schabowski wird gefragt: "Wann tritt das in Kraft?" und er antwortet: "Das tritt nach meiner Kenntnis ... ist das sofort, unverzüglich."

 

Immer mehr Menschen kommen zu Grenzübergängen.
Die Situation spitzt sich zu, zunächst in der Bornholmer Straße in Berlin. Die diensthabenden Grenzsoldaten haben keinen Befehl zur Öffnung der Grenze erhalten und die Menge vor dem Grenzübergang ruft: "Tor auf! Tor auf".
Wenig später geben auch die diensthabenden Offiziere dem Druck der Straße nach und öffnen die Grenzübergänge. Um 00.02 Uhr sind alle Grenzübergänge Berlins geöffnet.
Auch die Grenze der DDR zur Bundesrepublik wird in dieser Nacht geöffnet. Deutschland jubelt, Menschen liegen sich weinend vor Glück und Unfassbarkeit in den Armen – eine lang gehegte Sehnsucht hat sich erfüllt.

 

Wie sollte man künstlerisch mit diesen Emotionen umgehen können? Diese damals empfundene Innigkeit, der lange Weg dorthin, können nicht figurativ umgesetzt werden, sondern es muss ein Werk sein, das es jedem Einzelnen ermöglicht, den Gefühlen im Inneren nachzuspüren, einfach Worte und Assoziationen in sich wirken zu lassen.

 

Hans Lamb, der Künstler, Professor an der HAWK in Hildesheim, dem Handwerklichen im künstlerischen Prozess noch deutlich verpflichtet, noch kürzlich mit letzten Schweißarbeiten in der Werkstatt für junge Menschen in Eschwege beschäftigt, sagt: 

„(die) "wiedervereinigung" ist ein faszinierendes bildhauerisches thema - spielen hier doch der lauf der dinge (unsere geschichte), symbolträchtige formen (die grenze), die landschaft (geografie) und zudem solch gleichermaßen komplexe wie abstrakte kontexte wie politik, psychologie und seele die hauptrollen in einem drama mit happyend.

NäheSuchtFerne oder FerneSuchtNähe - wie auch immer - ob physikalisches elementarteilchen oder getrennte völker - es gibt kräfte, die zuweilen weitaus stärker sind als wir uns vorstellen und erwarten. 

die sprachraumskulptur "FERNE SUCHT NÄHE" steht für solche phänome der sich bewegenden pole.“

 

Die verschachtelte Typografie, wie aus lebendigen Buchstabenfamilien zusammen gesetzte Begriffe, muss man sich visuell erst erarbeiten, die Dimension des Satzes erst allmählich erfassen. „Ferne sucht Nähe“ drückt die Sehnsucht von gewaltsam getrennten Verwandten, Freunden, Liebenden aus, denen es hier in den früheren Sperrgebieten besonders schwer gemacht wurde, aber auch die Sehnsucht eines ganzen Volkes der Unnatürlichkeit zweier deutscher Staaten ein Ende zu bereiten.

Wenn Sie mögen, können Sie den Satz auch unserer Lesekultur entsprechend von links nach rechts lesen: Nähe sucht Ferne. Dabei muss man gar nicht an manche abstruse Meinung in Ost- und Westdeutschland denken, es sei besser die Grenze wieder zu haben. Man kann sich auch der Forderungen eingesperrter Menschen nach Reisefreiheit erinnern, ein Motor der 89er Bewegung, die ganze Welt kennen lernen zu dürfen.

 

Schließlich die Landschaft, die Verortung des Kunstwerks: Man hat von hier eine fantastische Sicht in das Eichsfeld. Heute können wir uns einfach an der wunderschönen Landschaft erfreuen, Menschen und Orte in Thüringen oder Hessen besuchen. Aber wir sollten nicht vergessen, dass früher hier Menschen standen, die nur eine Regung auf der anderen Seite erhaschen wollten, in einem Ort, einer Landschaft, die sie nicht betreten durften. Auch dafür steht das Kunstwerk „Ferne sucht Nähe“.

 

ARS NATURA wird gemeinsam mit Herrn Quanz, Vizepräsident des Hessischen Landtags, und einer Jury aus dem Werra-Meißner-Kreis bis 2014  sechs weitere Werke für die Kunst an der Grenze – wider das Vergessen - aussuchen und verorten. Wir haben in Nordhessen bis nach Treffurt in Thüringen bisher 20 Teilstrecken auf insgesamt  240 km Kunst am Wanderweg umgesetzt, eine lange Strecke von Röhrda bis Treffurt ist der Wiedervereinigung gewidmet und es ist noch immer berührend, wenn wir bei einer Streckenkontrolle auf den früheren Todesstreifen, heute lebendiges grünes Band, treffen.

Voraussichtlich noch in diesem Monat soll ein weiteres Werk unterhalb des Hansteins der Öffentlichkeit übergeben werden. Die renommierte Oldenburger Künstlerin Renate Ruck hat es geschaffen.

Als letztes noch einen Gruß von Hans Lamb, dem Erschaffer dieses Kunstwerks. Er kann leider nicht an der heutigen Veranstaltung teilnehmen und richtet der Jury aus: „Schön, dass Sie sich dafür entschieden haben und beste grüße aus hildesheim.“

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Telefon: 05663 1746


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