Kunst an der Grenze - Enthüllung des zweiten Kunstwerkes

Am 17. Juni 2013, dem Tag der Deutschen Einheit wurde das zweite Werk der Öffentlichkeit übergeben. Im Folgenden die Rede von Frau Dr. Karin Adam, Ars Natura-Stiftung, anlässlich der feierlichen Übergabe.

Rede Frau Dr. Adam

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

der 17. Juni war früher vor der Grenzöffnung zwischen Ost-und Westdeutschland unser Tag der Deutschen Einheit. Welche Ereignisse hatten zum Erheben dieses Tages zum Feiertag für das deutsche Volk geführt? Der sowjetische Diktator Stalin war im März 1953 gestorben, ein sog. „Neuer Kurs“ im Aufbau des Sozialismus wurde damit auch in der damaligen DDR propagiert. Politische Repressionen wurden etwas gelockert, aber die Arbeitsnormen erhöht, was Bauarbeiter in Berlin zur Niederlegung ihrer Arbeit und Demonstrationen veranlasste. Die Bewegung breitete sich in Windeseile aus, weil neben die wirtschaftlichen auch Forderungen nach freien Wahlen und Wiedervereinigung traten. Schon damals war das Bewusstsein der Menschen zwischen Elbe und Oder nicht auszulöschen, dass die DDR ein Staat auf Zeit sei, zumal Jeder Artikel 1 der DDR-Verfassung von 1949 kannte: „Deutschland ist eine unteilbare demokratische Republik“.

 

Eine Kugel ist das Symbol der Einheit, der Vollständigkeit und Ganzheit, für die Seele und die Gesamtheit aller einander aufhebenden Gegensätze. Das Symbol der Kugel bedeutet die Gesamtheit aller Möglichkeiten in der endlichen Welt, die Urform, die die Möglichkeiten aller anderen Formen enthält. Alle Gegensätze sind im Wiederzusammenwachsen der beiden früheren deutschen Staaten sicherlich noch nicht aufgehoben, die Vollständigkeit und Ganzheit des Staates Deutschland  ist seit 1990 aber wieder gegeben.

Der 3. Oktober, der Tag des Einigungsvertrages, ist seither unser deutscher Nationalfeiertag, jedoch sollte der 17. Juni 1953 nie in Vergessenheit geraten, denn  schon damals kämpften Menschen für diese Einheit, 51 von ihnen wurden bei den Demonstrationen, die von sowjetischen Panzern überrollt wurden, getötet, 20 standrechtlich erschossen, über 6000 verhaftet und zwei zum Tode verurteilt.

 

Die Künstlerin Renate Ruck bezeichnet ihre überwiegend aus Eisen gearbeiteten Plastiken als „Metallballaden“, passend zu diesem Standort an der ehemaligen innerdeutschen Grenze, auch zu dem Tag des 17. Juni 1953, Gegebenheiten und Ereignissen, von denen wir zukünftigen Generationen noch viel erzählen sollten. In der deutschen Literatur ab dem späten 18. Jahrhundert versteht man unter „Ballade“ ein erzählendes Gedicht, das u.a zeitgenössisch-rezente Stoffe aufgreift und sich oft durch die Hinführung der Handlung zu einem pointierten Schluss auszeichnet. In der Ballade wirken lyrische, epische und dramatische Bestandteile zusammen um Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Welt zu initiieren. Genau das tun wir an diesem Ort mit seinem Gedenkstein, dem unweit von hier noch sichtbaren früheren Kolonnenweg und Todesstreifen, der zum Grünen Band geworden ist…

 

Die frühere Lehrerin, seit 1997 Bildende Künstlerin und auch im Vorstand des BBK Oldenburg aktive Renate Ruck stellt nicht selten noch großformatigere kompaktere figurativ abstrahierende Werke in Metall her. Ein Schwerpunkt in ihrer Arbeit sind Kugelobjekte von 30 bis zu 115 cm Durchmesser.
Zwei ihrer vorherigen Kugeln, etwas kleiner als diese, kenne ich, eine mit vielen gleichen Eisenstücken zusammen geschmiedet, eine andere mit ganz unterschiedlichen Eisenfundstücken, 2012 entstand dann diese Kugel mit 1,60 m Durchmesser, die ich persönlich am filigransten und transparentesten finde.

 

„Am Ende ist immer ein Anfang“, so lautet der Titel dieser raum- und lichtdurchlässigen Plastik, sowohl auf die Urform der Kugel als auch auf die jüngere deutsche Geschichte bezogen. Das traumatische Ende des Aufstandes 1953 führte zu nicht mehr endendem untergründigem Widerstand gegen die DDR. Der Frühsommer 1953 wurde zum Vorläufer des Herbstes 1989.  Das Ende der DDR war der Anfang eines neuen geeinten Deutschlands.

Seit 2005 hat Renate Ruck eine eigene Werkhalle, in der ihre Metallballaden häufig auf der Grundlage des Prinzips der Bricolage entstehen. Wörtlich aus dem Französischen übersetzt bedeutet „Bricolage“ Bastelei oder Heimwerkerei. In der Jugendkultur und der jüngeren Kunst und Musik ab den 60er Jahren des 20.Jh. bezeichnet der Begriff, auch „sampling“ genannt, die Technik, Gegenstände in einen neuen Kontext zu stellen. Die ursprüngliche Bedeutung wird dabei meist aufgehoben, wie hier handwerklich oder industriell produzierter Metallschrott, der zur durchlässigen Kugel künstlerisch geformt, eine universelle Symbolik und an diesem Ort eine spezielle Konnotation erhält.

Die wissenschaftliche Begriffsverwendung von Bricolage geht auf den Ethnologen, damit Sozialwissenschaftler, Claude Lévy-Strauss zurück, der 1962 sein Konzept des „Wilden Denkens“ – d.h. nehmen und verknüpfen, was da ist – vorstellte. Für ihn ist Bricolage die eher spontane Reorganisation von unmittelbar zur Verfügung stehenden Materialien, Zeichen und Ereignissen zu neuen Strukturen.

 

Viel Spontaneität, glückliche Zufälle und Fügungen waren im Prozess der deutschen Einigung gegeben.

Zum Schluss noch einige wenige Worte zur Verbundenheit der Künstlerin mit diesem Ort. Renate Ruck ist gut mit Frau von Kaufmann befreundet, wie sich erst kürzlich herausstellte, der als Verwandten von Fritz Huschke von Hanstein und dessen Frau Ursula wie auch diesen selbst bis 1989 der Zutritt zu Burg Hanstein und den die Burg umgebenden Ländereien verwehrt war. Der Besitz wurde durch die gewaltsam gezogene Grenze wie viele andere Anwesen an der innerdeutschen Grenze gespalten. Auch hier, noch auf hessischem Gebiet, befinden wir uns auf privatem Grund der Familie. Frau von Kaufmann hat diesem Standort sofort zugestimmt, vielen Dank auch im Namen von ARS NATURA dafür.

 

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und übergebe auch gern das Wort an die anwesende Künstlerin.

 

 

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