Rundweg Bad Zwesten, Wenzigerode

 

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Karin Lina Adam, Spangenberg
»Sechs Bäume sechs Geschichten«

 

Sechs alte Bäume, schon im 19. Jahrhundert gepflanzt, erzählen ihre Geschichten.



I.

Kommt man von Wenzigerode auf den alten Triftweg, steht gleich am Wegesrand eine Fichte, die noch nicht so mächtig wie die weiter abwärts als Naturdenkmal ausgewiesene weitere Fichte herangewachsen, aber genau wie diese 170 bis 180 Jahre alt ist.



Mehr als ein und ein halbes Jahrhundert lang konnte der Baum die Geschichte des Menschen miterleben. Einmal schnappte er von zwei Wanderern etwas über die „Göttinger Sieben“ auf, die nun, wie der eine besorgt feststellte, „revolutionsverdächtig“ seien; später diskutierten Bauern am Fuße des Stammes ruhend, ob man sich gemeinschaftlich ohne Bezahlung Holz aus den herrschaftlichen Wäldern holen dürfe und fragten sich, was die Nationalversammlung in Frankfurt wohl künftig für den Bauernstand tun werde.
Irgendwann hörte die Fichte etwas von Nationalstolz, Krieg und einer Reichsgründung. Jahre später, als die Reden zur Einweihung der weiter unten am Weg stehenden Bismarckeiche herüberschallten, wurden dem Baum die Zusammenhänge klarer. Auch hörte die Fichte Worte, mit denen sie überhaupt nichts anfangen konnte, wie Aktie, Nennwert, Dividende, „Schwarzer Freitag“. Wie staunte der Baum aber erst, als er eine Dame mit einem riesigen bunten Vogel, der Krächzlaute von sich gab, die sie hier im Wald noch nie gehört hatten, vorüber gehen sahen. Die Dame erzählte gerade ihrer Begleiterin, der Vogel stamme aus Kaiser-Wilhelm-Land. Dem Zwillingsbaum blieb auch nicht verborgen, weil es Land auf, Land ab die Gemüter erregte, was der Drang nach Weltgeltung und dem „Platz an der Sonne“ anrichtete.
Und dann – nach der Urkatastrophe des 20 Jh. - ein formidabler Neubeginn: Picknick im Wald, die Tageszeitung dabei – demokratischer Neubeginn, Wahlrecht auch für Frauen, „alle Macht den Räten“, Straßenschlachten, Rechtsputsche; Neuestes aus der „Glitzermetropole“, Bubiköpfe, Charleston-Mode; Elend. Noch ein „Schwarzer Freitag“ und dann das Ende der Demokratie.
Fackelzüge – Brand - Gewalt – Einschüchterung – Verblendung – Rassenwahn – Völkermord -
Kinder hatten einmal um den Baum herum Ringelreihen gespielt, er sah sie nie wieder – der Totale Krieg. Zum Glück: Bedingungslose Kapitulation.
Alliierte Verordnung demokratischer Erziehung (gelungen?). Heimlich hörte die Fichte ein sehr leises Gespräch darüber, dass die Strafe doch allzu hart und die anderen auch nicht besser gewesen seien. Schwarzmarkt, Marshallplan, Wiederaufbau, Spaltung, Teilung, Wirtschaftswunder, Wiederbewaffnung, Schatten der Vergangenheit – die Jugend rebelliert gegen Verdrängung, Notstandsgesetze, Krieg, Muff, Verkrustung und später auch gegen Ignoranz gegenüber der Umwelt.
Noch immer kämpft der unseren Maßstäben entsprechend alt gewordene Baum gemeinsam mit seinen Artgenossen weiter gegen das Waldsterben. Manchmal geht es ihm nicht besonders. Wir sollten ihm noch viele gute Jahre gönnen. Er weiß so viel.



II.

Weil die Fichte 170-180 Jahre alt und so beeindruckend stattlich ist, erhielt sie das Zeichen eines Naturdenkmals.



Eine Fichte kann eine Höhe von 50 m, seltener 70 m, einen Durchmesser von 1,5m erreichen und bis zu 600 Jahre alt werden. Klimatisch bevorzugt sie winterkaltes Kontinental- und Gebirgsklima.
Ihre natürlichen Verbreitungsgebiete sind Nordeuropa, das Baltikum, die Karpaten, die Tatra, Böhmerwald und Bayrischer Wald, Harz, Alpen, Schwarzwald, Vogesen, Jura…? Die ausgedehnten Kiefern- und Fichtenforste im Tiefland Mitteleuropas und viele Wälder Nordamerikas sind ausschließlich vom Menschen angepflanzt bzw. gefördert worden. Der Natur entsprechend würde sich dort Laubwald ausbreiten. Die Nadelholzwälder sind meist Ende des 18. Jahrhunderts angelegt worden, als die neu entstandene Forstwirtschaft die Wiederbewaldung des damals sehr waldarmen Mitteleuropas fördern sollte. Viele Böden waren damals durch den Raubbau ausgemagert und boten nur noch den anspruchslosen und widerstandsfähigen Nadelgehölzen genügend Nährstoffe. Die Fichte ist eine der wichtigsten Baumarten für die Forstwirtschaft; nicht umsonst wird sie auch als Brotbaum bezeichnet. Als Schatten vertragende Baumart lässt sie sich gut mit anderen Arten mischen. Im Freistand wird die Fichte mit 30 bis 50 Jahren „mannbar“. Bei unserer Fichte geschah das in der zweiten Hälfte des 19.Jh. Die Blütezeit ist im April/Mai. Die männlichen Blüten sind ca. 25 cm lange, rotgelbe Kätzchen, die aufrecht auf den Zweigen sitzen. Die weiblichen Blüten stehen in zuerst aufrechten, purpurroten, 2 bis 4 cm langen Zapfen, die sich nach der Befruchtung abwärts neigen.


Die Geschichte des Waldes in Mitteleuropa ist durch eine Jahrtausende währende Nutzung durch den Menschen gekennzeichnet. Eine erste intensivere Waldnutzung war während der römisch-germanischen Besiedlung zu verzeichnen. P. C. Tacitus beschrieb das freie Germanien noch im 1. Jahrhundert als "terra aut silvis horrida aut paludibis foeda" - ein Land, bedeckt von schrecklichen Wäldern oder abscheulichen Sümpfen. Ein Land, dessen Fläche bis zu vermutlich 70% mit Wald bedeckt und klimatisch abweisend war, beeindruckte römische Beobachter offensichtlich. Tacitus mediterrane Heimat war zu diesem Zeitpunkt bereits Jahrhunderte Kulturlandschaft, der Wald für Felder, Obstanlagen und Städte, Brennholzbedarf und Flottenbau gerodet. Auch der Wald im römisch besetzten Germanien wurde daher weit intensiver genutzt als im unbesetzten Teil. Mit dem Bau des über 500 km langen Limes, der überwiegend ein Holzwall war, wurde eine breite Schneise in die Wälder geschlagen, Holz für Palisaden- und Turmbau benötigt.
Mit den Wirrnissen der Völkerwanderungszeit breitete sich der Wald in Mitteleuropa wieder aus. Erst am Ende der Völkerwanderungszeit nahm die Besiedlungsfläche wieder zu, vor allem auf ackerbaulich geeigneten Böden. Nach dem Jahr 800 stockte die Besiedlung und Rodung der Wälder in Mitteleuropa. Bedingt durch Seuchen und den Einfall fremder Völker (im Norden Normannen, im Süden Magyaren) stieg die Bevölkerungszahl nicht wesentlich an. Ab 1100 setzte die letzte große Rodungsperiode ein. Menschliche Besiedlungen drangen nun auch in entlegenere Täler der Mittelgebirge vor. Waldflächen wurden bis 1300 gerodet bzw. landwirtschaftlich so intensiv genutzt, dass sie ihren Waldcharakter verloren. Mit Ende des 14. Jahrhunderts hatte sich ein Verhältnis zwischen Kultur- und Waldfläche gebildet wie es ungefähr auch dem heutigen entspricht. Waldweiden, Harznutzung, Brennholzeinschlag, Köhlerei, Glashütten, Bergbau, Salinen, Bau- und Konstruktionsholzbedarf zehrten an den Waldbeständen. Zurück blieb eine Landschaft, deren Störungen noch heute erkennbar sind, so an kahlen Bergrücken, Heidelandschaften und der Baumartenverteilung in den mitteleuropäischen Wäldern. "Entnehme niemals mehr Holz als nachwächst" war immerhin der Leitsatz der letzten 200 Jahre.


„In den letzten Jahren ist es um den Zustand des Waldes sehr still geworden. Nur einmal im Jahr, wenn die Bundesregierung den Waldschadensbericht veröffentlicht, wird dieses Thema in kleinen Artikeln von der Presse und Öffentlichkeit gewürdigt. Doch dieses Verhalten wird dem Zustand des Waldes nicht gerecht. Sicherlich geht es dem Wald heute besser als in den 80er Jahren, wo jedermann mit eigenen Augen dem Sterben zusehen konnte. Doch die aktuellen Waldschadensberichte geben trotz alledem Anlass zur Sorge.

Die Gründe für die Waldschäden sind vielfältigster Art.?Neben den natürlichen Faktoren wie z.B. Insekten und Pilzbefall spielen die neuartigen Waldschäden eine ganz wesentliche Rolle. Hauptverursacher ist nach wie vor das Schwefeldioxid (SO2) aus der Industrie und die Stickstoffoxide (NOx) aus dem immer noch zunehmenden Kraftfahrzeugverkehr. In Verbindung mit Regenwasser und Sauerstoff bildet sich aus den Stickstoffoxiden Salpetersäure und aus den Schwefeldioxiden schwefelige Säure, die zu einer starken Senkung des ph-Wertes des Regenwassers führen (Saurer Regen). Regenwasser sollte bei Berücksichtigung des atmosphärischen Kohlendioxid (CO2) in der Luft einen ph-Wert von ungefähr 5,5 haben; aufgrund der Emissionen liegt dieser in Deutschland jedoch durchschnittlich bei 4 - 4,5.“ (Stiftung Unternehmen Wald Deutschland e.V.) Schaffen wir es, die alten Fichten dieses Weges in hier an sich artfremdem Lebensraum zu einem Leben von 600 Jahren zu verhelfen, so dass auch unsere nachfolgenden Generationen diese Bäume am alten Triftweg noch kennen lernen können?



III.

Bismarckeichen – häufig gepflanzt am 1. April 1895 zum 80. Geburtstag von Otto von Bismarck. Diese Eiche soll aber bereits circa 200 Jahre alt sein, wurde also schon vor der Geburt des Reichskanzlers gepflanzt und möglicherweise nach dessen Entlassung durch Wilhelm II. im Zuge des aufkommenden Bismarck-Kultes so „getauft“, vielleicht geschah dies auch zum 80. Geburtstag.



In jener Zeit entstanden viele Bismarcktürme, Bismarcksäulen und man weihte dem Altkanzler zu Ehren zahlreiche Bismarck-Eichen ein. Deutsche Eichen! Die widerstandsfähigen und langsam wachsenden Bäume waren bereits den Germanen heilig. Die deutsche Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts benutzte Eiche und Eichenlaub als Sinnbilder für Volk und Einheit. Wenig später hatten die Deutsche Eiche und ihr Laub vor allem auf jenen Sachgebieten eine Symbolfunktion, auf denen Deutschen eine ebenso ausgeprägte wie problematische Kompetenz nachgesagt wird: beim Militär- und Finanzwesen. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wurden unzählige patriotische Friedenseichen, genauer: Militärsieg-Bäume, im frisch gegründeten Reich gepflanzt. Viele von ihnen sind später Straßenerweiterungen zum Opfer gefallen.


Sich selbst als „Bismärcker“ bezeichnende Mitglieder von Fest- und Denkmalskomitees und Bismarck-Vereinen sind fast ausnahmslos dem protestantischen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum sowie dem Beamtentum zuzuordnen. Katholiken, Arbeiter und Bauern waren an den Aktivitäten im Rahmen des Kultes kaum beteiligt. Warum nicht? Von 1871 bis 1878 führte Bismarck den so genannten Kulturkampf gegen die katholische Kirche und die katholische Zentrumspartei, da er fürchtete, diese seien „Reichsfeinde“ und dem Papst mehr zugetan als dem deutschen Kaiser und nannte sie „Ultramontanisten“ (von jenseits der Alpen, also vom Papst gesteuert). 1878 nahm er dann das zweite Attentat auf Kaiser Wilhelm I. zum Anlass, das Sozialistengesetz im Reichstag zu initiieren, das bis 1890 in Kraft blieb. Mit diesem Ausnahmegesetz wurde die sozialistisch/sozialdemokratische Agitation verboten, jedoch die politische Arbeit der Sozialdemokratischen Partei in Wahlmandaten wie beispielsweise im Reichstag blieb dabei unangetastet. Der Zweck des Gesetzeswerkes, die Sozialdemokratie zu schwächen, wurde aber dabei verfehlt.


„Denkmäler gestalten und politisieren den öffentlichen Raum und treffen damit eine Auswahl dessen, was erinnert werden soll und damit indirekt auch eine Auswahl dessen, was vergessen werden soll. Der militärische Triumph von 1870/71, nationale „Helden“ wie Kaiser Wilhelm I. und Bismarck waren die bevorzugten Gegenstände für Nationaldenkmäler im Kaiserreich, 1848 war dagegen ein Datum, das nicht ins preußisch-deutsche Geschichtsbild passte. Der Bismarck-Kult … war – nicht ausschließlich, aber ganz überwiegend – ein Kampfinstrument gegen die unter Bismarck ausgegrenzten „inneren Reichsfeinde“. Es kann daher kaum verwundern, dass Katholiken und Sozialdemokraten, aber auch andere Gruppen, die sich nicht als Teil des „nationalen Lagers“ (Karl Rohe) begriffen, dem Kult fernblieben und ihn z.T. scharf kritisierten. Wer heute bemängelt, dass Bismarck kein Bezugspunkt nationaler Identität aller Deutschen mehr ist, vergisst, dass er es niemals war.“(Thomas Gräfe)


1849 und 1850 gehörte er der Zweiten Kammer des Landtages an und war Wortführer des äußersten rechten Flügels. Während der Märzrevolution von 1848/49 profilierte er sich als konsequenter Verteidiger des monarchischen Prinzips. Und Bismarck hat bereits als preußischer Ministerpräsident die demokratische von der nationalen Bewegung getrennt. Er schuf das Deutsche Reich „nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse, sondern durch Eisen und Blut“ und durch eine folgenschwere Demütigung Frankreichs.

Bismarck starb 1898. Eine Büste wurde in der Walhalla aufgestellt und er ist außerdem Ehrenbürger der Städte Darmstadt, München, Hamburg, Wandsbek, Kassel, Köln, Moers, Detmold, Zwickau, Rathenow, Wermelskirchen sowie seit 1895 aller badischen Städte.


Diese Eiche ist eine von mehreren, die hier am Triftweg gepflanzt wurden, um die in den Wald getriebenen Schweine mit Futter zu versorgen – das war die ihr ursprünglich zugedachte Bestimmung.



IV.

Die Hexeneiche, schon seit langem gestorben, hat ihre Geheimnisse an den auf ihren Wurzeln wachsenden Holunderbusch weiter gegeben. Nachts bei Vollmond singt es nun in seinen Zweigen:



Hexen wurden einst verbrannt - Feuer schwelten über’m Land.
Scheiterhaufen gibt’s nicht mehr - Hexen mögen’s dunkel sehr.


Hexen fragen nach dem Sinn der Welt – sie leben so, wie’s ihnen selbst gefällt.
Hexen lieben die Magie – sie zu verbrennen schafft man nie.


Komm, steig mit auf den Hexenbesen – erlebe doch dein eig’nes Wesen.
Hexen tanzen in der Nacht – Hexen küssen dich ganz sacht.


Hexen fliegen durch die Nacht.


© Karin Lina Adam



V.

Zur Erinnerung an den Revierförster Maxeiner, der von 1902 bis 1952 hier im Amt war, erhielt die Eiche ihren Namen.



In unserer Region beginnt die Forstgeschichte mit erster nennenswerter Einflussnahme des Menschen auf den Wald, mit der Siedlung neolithischer Bauernkulturen (Bandkeramiker) um 6000-5000 Jahren zunächst in den fruchtbaren, klimatisch begünstigten Lößgebieten. Da Mitteleuropa überwiegend von Eichenmischwäldern bedeckt war, mussten die Siedlungs- und Ackerflächen durch Rodung gewonnen werden. Über den Bereich der Holznutzung hinaus wurden Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine durch Waldweide und Laubgewinnung ernährt. Von nun an wurde der Wald Stück um Stück zurück gedrängt.


Mit dem gebührenpflichtigen Recht der Schweinemast wurden im Mittelalter erste Einnahmen aus der Waldnutzung erzielt. Lange Zeit wurde der Wald danach bewertet, wie viele Schweine in ihm durch Aufnahme von Bucheckern und Eicheln gemästet werden konnten und nicht wie heute nach seinem Holzvorrat. Von Grundherren und Markgenossenschaften wurden Waldordnungen aufgestellt, die die jeweiligen Gebote und Verbote der Waldnutzung regelten. Mit der ersten Hälfte des 16. Jh. wurden wegen der Angst vor „Holznot“ Forstverordnungen von den Landesherren verfügt. Sie enthielten Rodungsverbote und Aufforstungspflichten, z.B. die Nutzung lediglich vom Förster markierter Bäume, das Nachpflanzen von Eichen und das Belassen von Samenbäumen auf Holzeinschlagsflächen, Beschränkungen der Waldweiden sowie Begrenzung des Holzverbrauchs.


Das Ereignis des dreißigjährigen Krieges verschüttete die bisherigen Ansätze der Walderhaltung. Die dezimierte Bevölkerungszahl führte zur Reduzierung von Holzbedarf und Weidevieh- und Wildbeständen. Die Verantwortung für den Wald wurde für 200 Jahre an Jagdpersonal übergeben, soweit die Wälder nicht unmittelbar der Versorgung von landesherrlichen Großgewerben dienten. Da eine eigenständige Forstwirtschaft in jener Zeit fehlte, führte die bäuerliche Waldweidennutzung bei gleichzeitig starker Vermehrung des Rot-und Rehwildes zugunsten der Jagd zeitweilig zur Verlichtung und Verwüstung von Wäldern.


In der Phase der merkantilistischen Wirtschaftspolitik der absolutistischen Staaten bis zum Ende des 18.Jh. wurde die Walderschließung, der Flusstransport sowie der Export von Holz und Waldprodukten meist durch große Holzhandelskompanien, stark ausgebaut. Der Merkantilismus war deshalb – entweder ohne oder nur geringem Bemühen um Regeneration des Waldes - mit einer forcierten Zerstörung der Wälder in vielen Regionen verbunden. Auch der Bevölkerungsanstieg in jenem Zeitraum trug dazu bei.
Aufklärung und Rationalismus, Liberalisierung der Wirtschaftsordnung sowie Fortschritte in Naturwissenschaft und Technik brachten eine geregelte Forstwirtschaft mit sich. Auch führte die voranschreitende Ablösung vorwiegend landwirtschaftlich motivierter Waldnutzungsrechte zur Trennung von Land- und Forstwirtschaft und sicherte damit die alleinigen Verfügungsrechte der Waldbesitzer. Im Rahmen der geregelten Forstwirtschaft wurde innerhalb von etwa 150 Jahren die Anteile von Laub- und Nadelbäumen nahezu umgekehrt, die künstliche Bestandsbegründung erheblich ausgeweitet. Die Praxis der Forstwirtschaft des 19. Jh. steht heute mit ihren Folgen für die Waldökosysteme erheblich in der Kritik. Aus zerstörten Wäldern auf verschlechterten Böden wurden dennoch wieder Hochwälder, wenn auch der ökonomische Aspekt hinsichtlich dreifacher Massenproduktion und fünffacher Holzausbeute überwiegt.
Zwischen 1914 und 1950 war die Waldbewirtschaftung kriegsbedingten Folgen und Zielen ausgesetzt. Im ersten Weltkrieg und den nachfolgenden Hunger- und Inflationsjahren musste der Wald den gesamten Bedarf an Holz decken. Viele Vertreter der Forstwirtschaft forderten eine naturgemäßere Waldwirtschaft, stattdessen wurde meist im Kahlschlagverfahren abgeholzt. Im Nationalsozialismus wurde der Wald einer staatlichen Planwirtschaft und einer vorgeschriebenen Holzeinschlagsmenge unterworfen. Insbesondere mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden Bäume geschlagen, die um das Zweifache über der nachhaltigen Leistungsfähigkeit der Wälder lagen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges musste der Wald zusätzlich zu erheblichen Holznutzungen im Rahmen der Reparationsleistungen und zur Energiegewinnung der Not leidenden Bevölkerung dienen.


Ab 1952 wurde der Holzpreis wieder freigegeben und die nachhaltige Forstwirtschaft aufgenommen. Förster Maxeiner hat in seinem Amt diese Entwicklung nicht mehr miterlebt. Seit den 70er Jahren hat sich in der Waldbewirtschaftung die Lehre von den Vielfachfunktionen des Waldes – Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion und ein stärkerer Einfluss der naturgemäß orientierten Waldwirtschaft durchgesetzt. Manch Försterherz dürfte aber auch heute beim Anblick der Verwüstung des Waldbodens und der –wege durch überdimensionierte rationelle Abholzungsmaschinen an der Umsetzung naturgemäß nachhaltiger Waldwirtschaft zweifeln.



VI.

Die unterste am Triftweg stehende alte Eiche trägt ebenfalls einen Namen, jedoch ist ihr das Holzschild abhanden gekommen. Sie ist Felix von und zu Gilsa gewidmet. Der Wald, in dem die Eichen stehen, ist auch heute noch im Besitz eines Vertreters dieses althessischen Rittergeschlechts.



Der Müller Schmalz aus Züschen war beim Bestellen des Feldes schon Jahre vor der eigentlichen Entdeckung des Steinkammergrabes auf eine ihn beim Ackern hindernde Reihe von Sandsteinen gestoßen. Aber er verschob das Entfernen der Steine vorläufig, im Frühjahr (1894) sollten die Hindernisse dann beseitigt werden. Auch Inspektor Gelpke vom nahen Schloss Garvensburg fiel das Vorkommen von Sandstein auf der Basaltkuppe auf. Er vermutete, dass es sich um einen vorgeschichtlichen Fund im Gebiet der Chatten handeln musste. Gelpke setze beim Besitzer des Feldes, Müller Schmalz, durch, dass dieser nur an den beiden Enden die Erde abheben ließ. Dabei kamen schon Scherben und Knochen zum Vorschein. Der Besitzer der Garvensburg benachrichtigte Baron Felix von und zu Gilsa, den ersten sachkundigen Archäologen, der das Grab in Augenschein nahm. 1894 wurde schließlich unter der Aufsicht des ehemaligen Direktors der Staatlichen Museen Kassel, Dr. Johannes Boehlau, das Grab freigelegt. Es ist eines der bedeutendsten Denkmäler seiner Art in Mitteleuropa und stammt aus dem 3. bis 4. Jahrtausend v. Chr. Die Grabkammer ist 20 m lang und 3,50 m breit. Die Längswände bestehen aus zwei Reihen von je 12 Sandsteinen, wovon einer allerdings fehlt. Die Schmalseiten bestehen je aus einer Platte. Eine Abschlussplatte mit einer runden Öffnung, eine Art Tür zwischen den Lebenden und den Toten, trennt die eigentliche Grabkammer von einem kleinen Vorraum von 2,50 m Länge, in dem Opfergaben abgelegt wurden.


Der Schutt war mit zahlreichen menschlichen Knochen durchsetzt, viele Menschen einer kleinen Siedlungsgemeinschaft wurden hier offensichtlich über Jahrhunderte bestattet. Da das Grab vermutlich schon früh ausgeraubt wurde, fand man nur wenig Keramik, einige Schiefer-, Feuerstein- und Knochenwerkzeuge wie Messerklingen, Sicheleinsätze, Meißel, Beile und Pfeilspitzen. Zu den beeindruckendsten Funden der Ausgrabung gehören die eingeritzten Zeichen. Mit einem Stein- oder womöglich frühen Metallgerät wurden punktförmige Einschläge zu Linien gereiht. Ein wiederkehrendes Zeichen ist eine Linie mit einem aufgesetzten geöffneten Halbbogen, was als Rinderdarstellung zu deuten ist, in ähnlicher Weise auch in anderen Felsbildern Europas auftauchend. Meist sind zwei Rinder durch eine Linie mit zwei betonten Endpunkten miteinander verbunden. Die Darstellung lässt auf einen Pflug schließen. Auch finden sich Zeichen, die ein Joch mit einer Deichsel zu einem Karren verbinden. Da die Zeichen auf der Rückseite der Steine liegen und somit vom Grabraum aus unsichtbar sind, ist zu vermuten, dass sie schon beim Grabbau vorhanden waren. Wie die zwischen 30.000 und 12.000 Jahre alten Felsmalereien von Altamira, Lascaux und anderen Höhlen von Alltag, Umwelt und religiösen Vorstellungen der Jäger in der Altsteinzeit erzählen, so geben das Steinkammergrab und seine Zeichen Einblick in religiöse Riten und Wertvorstellungen einer jungsteinzeitlichen Ackerbaukultur. Die Verbundenheit mit den Tieren, die die Landarbeit erleichtern halfen, und sicherlich ein gewisser Stolz auf die Geräte, die den technologischen Fortschritt aufzeigen, sprechen aus diesen Zeichnungen. Und: „Wo uns im späteren Altertum oder in der Ethnologie ähnliches begegnet, spielt meist eine weibliche Gottheit eine entscheidende Rolle, deren Attribut nicht selten ein von Rindern gezogener Wagen ist. So wird das auf einem Wandstein in knappster Andeutung wiedergegebene Gesicht als Darstellung einer solchen Gottheit, der sog. Dolmengöttin, gedeutet. In französischen Großsteingräbern (Dolmen) gibt es ganz vereinzelt in gewissem Maße vergleichbare Darstellungen.“ (Irene Kappel, Regionalmuseum Fritzlar). Das vorgeschichtliche Bodendenkmal befindet sich in der Nähe von Fritzlar, eine Nachbildung der Grabanlage im Landesmuseum in Kassel.


Das Adelsgeschlecht von und zu Gilsa, dem auch der o.g. Archäologe angehörte, hat seinen Stammsitz in Neuental-Gilsa, nicht weit von Bad Zwesten und auch nicht sehr weit von Fritzlar-Züschen. Ende des 19 Jh., als das Steinkammergrab entdeckt wurde, zogen vielleicht noch gelegentlich Schweine auf diesem Weg zur Hutweide und suchten am Boden nach den Früchten auch dieser Eiche.

 

 

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